Samstag, 13. März 2010

Am Anfang ist Eco

Nach den Maßstäben des Web ist der vorige Beitrag bereits ein Fossil. Mehr als ein halbes Jahr kein bisschen Text ist eines Blogs unwürdig. Selbst ein durchschnittliches Tagebuch, das keine Öffentlichkeit hat, bekommt mehr Aufmerksamkeit. Nicht bei mir, denn ich schreibe gar keins, aber von Leuten, die Tagebücher haben (ob sie es nun zugeben oder nicht), habe ich es mir so sagen lassen, und es gibt keinen Grund, sie der Lüge zu verdächtigen. Daher ist jetzt eine Entschuldigung fällig.
Liebes Blog, es tut mir leid. Ehrlich.
Zu meiner Verteidigung muss ich sagen, dass ich in den vergangenen Monaten gar nichts geschrieben habe, was nicht ein Auftrag meiner Redaktionen war. Wer jetzt meint, dies sei keine Schreibblockade, weil ich den Alltagskram ja schreiben konnte, sondern mangelndes Talent für anspruchsvolleres Texten, der irrt. Journalisten haben grundsätzlich keine Schreibblockaden, denn an diesen kann man nur leiden, wenn man nicht weiß, was man schreiben will - und das sollte einem Journalisten nie passieren, sonst war seine Recherche miserabel oder das Thema einfach nicht gut, und die Blockade ist kein Hindernis, sondern ein Segen für die Menschheit, die von einem unnötigen Text verschont bleibt. Je literarischer und damit künstlerischer ein Text, desto eher kann die Blockade greifen und die Kreativität abwürgen. Das hat sie. Aber damit ist jetzt Schluss.
Ich habe beschlossen, mich nicht mehr mit dem Unvermögen anderer Menschen zu belasten. An meiner eigenen Dummheit trage ich schwer genug, zusätzlicher Ballast ist unnötig. Danke, aber nein. Dieser Schritt befreit ungemein und macht Energie frei, die ich „sinnlos“ in Texte investieren kann. Dafür orientiere ich mich ab jetzt an intelligenteren Exemplaren der Gattung homo sapiens sapiens. Beispielsweise an Umberto Eco. Über Jahrzehnte schrieb er für die italienische Wochenzeitschrift „L'Espresso“ eine Kolumne, die „Streichholzbriefe“. Ganz im Gegensatz zur üblichen Zeitungsstil verzichtete er auf zwingende Aktualität. Er schrieb lieber das, was ihn beschäftigte. Sehr subjektiv und dadurch sehr unjournalistisch. Und für ein Kolumne (sprich: ein Blog) äußerst hilfreich.
Ab jetzt wird es unjournalistisch, liebes Blog. Versprochen.


P.S. Da es meine Art ist, werde ich mir dozentenhaftes Klugsch***** nicht verkneifen. Immer, wenn mir etwas wichtig erscheint, werde ich das entsprechende Wissen kurz am Ende des Texte zusammenfassen und für die Interessierten einen Link oder zwei einfügen. Hier am Beispiel von „Umberto Eco“

Der Italiener Umberto Eco ist Schriftsteller, Kolumnist, Kulturwissenschaftler und einer der bekanntesten Intellektuellen dieser Zeit. Er schreibt nicht nur unterhaltsam, sondern auch intelligent Romane (bspw. Der Name der Rose) sowie Fachbücher. Seine „Streichholzbriefe“ habe ich in Derrick oder Die Leidenschaft für das Mittelmaß gelesen. Mehr zu diesem äußerst spanennden Mann findet sich wie immer auf Wikipedia.

Mittwoch, 29. Juli 2009

Der Virus aus Tibet

Er muss tatsächlich heilig sein. Denn eine Pressekonferenz, die zu früh beginnt, grenzt an ein Wunder. Und doch treten der Dalai Lama und sein Gastgeber Roland Koch 15 Minuten vor dem offiziellen Beginn an die Mikrofone. Die Grußworte und Danksagungen sind dann natürlich die üblichen, die wundersame Atmosphäre macht der Realität Platz. Doch man könnte - wenn man wollte - vermuten, die Freude im Gesicht des Ministerpräsidenten sei nicht staatsmännisch, sondern echter Ausdruck eines inneren Zustandes. Damit würde Koch dem Wunsch seines langjährigen Freundes nachkommen, der von den Menschen mehr Ehrlichkeit fordert. In allen Punkten. Franzosen täten beispielsweise manchmal so, als könnten sie nur wenig Englisch, obwohl sie ihn sehr wohl verstünden, erzählt der Dalai Lama in einer kurzen Anekdote. Er lacht laut auf. "I believe the Germans are more honest." Und das ist für ihn immerhin eine Grundbedingung des persönlichen Glücks, dass alle erreichen können. "Every human being - including politicians - has by birth, by nature the potential to increase inner peace."

Davon ist Seine Heiligkeit überzeugt, und ich auch, nachdem ich den hessischen Ministerpräsidenten gesehen habe. Mit dem traditionellen tibetischen weißen Glücksschal über seinem Anzug steht er vor den Kameras, während der Dalai Lama spricht, hat die Hände hinter dem Rücken verschränkt, wippt leicht auf den Füßen hin und her und lächelt in die Kameras. Nicht nur zufrieden, sondern tatsächlich friedlich, das Stichwort "Honigkuchenpferd" drängt sich in meinen Verstand - und das, obwohl ihn zu diesem Zeitpunkt kaum jemand beachtet. Ist der Dalai Lama ansteckend? Die Aufmerksamkeit der versammelten Journalisten gehört jedenfalls bereits ganz ihm. Spätestens seit seinem ersten Satz. "I have nothing to say - except to show my face to your cameras." Er lacht und weiß genau, dass wir mehr wollen, und das er mehr sagen wird. Doch jeder Anflug sakraler Ehrfurcht ist damit im Keim erstickt, die Distanz über die Absperrungsbändern hinweg ein wenig überbrückt, der Dalai Lama etwas mehr Mensch und weniger Würdenträger.

Die ersten Fragen darf dann auch die jüngste Kollegin, eine Kinderreporterin von KiKa, stellen - gleich drei. Was der Dalai Lama in seiner Freizeit am liebsten macht? Schlafen. Halt, nein. Meditieren und schlafen. Was er in seiner Kindheit vermisst hat? Nichts. Aber den Unterricht fand er nicht gut. Ob er seine Heimat vermisst? Ja. "We are a homeless person. But we found a very happy home." Immerhin sei er mit 50 Jahren Aufenthalt der am längsten verweilende Gast Indiens. Ein wundervolles Land - nur der Monsun bringe nach seinem Geschmack zu viel Regen.
Dabei ist sein Gesicht ständig in Bewegung. Mal ruhen die dunklen Augenbrauen in einer Linie mit dem schwarzen Brillengestell über seinen Augen. Dann springen sie nach oben, wenn etwas seine Aufmerksamkeit fesselt und er die Augen aufreißt. Im nächsten Moment macht sich ein Lachen auf seinem Gesicht breit. Das Abbild eines Menschen, der glücklich in sich ruht. Als Berufsmisstrauischer vermute ich natürlich zuerst eine perfekte Inszenierung, doch mit jedem Moment beschleicht mich mehr und mehr der Verdacht, das dieser Mann tatsächlich so ist, wie er sich verhält. Wie heißt das Wort noch mal, was wir so selten sinngemäß gebrauchen? Authentisch. Richtig. So hieß das.

Die Themen der älteren Kollegen sind vorhersehbar und für den Dalai Lama nichts Neues: China, Tibet, wie geht es weiter mit Tibet und China und wie kann man Mitgefühl für den Gegner (China) aufbringen? Konkret werden die Antworten nie. Seine Heiligkeit stellt keine programmatischen Forderungen, sondern verweist auf die Grundlagen, die zum Ergebnis führen. Wie etwa den gesunden Menschenverstand. "It is much wiser to give compassion and therefore keep ones inner peace." Logisches Denken als Bausteine des Glücks. Wie man als spiritueller Mensch in der modernen Welt richtig lebt? "I don't know." Eine Anleitung zum Abarbeiten darf man vom Dalai Lama nicht erwarten. Ein Beispiel, wie der Einzelne zu seinen richtigen Antworten finden kann, gibt er seit Jahren. Wie schade, dass das nicht ins Frageschema westlicher Journalisten passt. Doch die kommen trotzdem, schreiben alles mit und sind nicht böse, wenn sie nach der letzten von wenigen Fragen mit einem fröhlichen "Thank you. Good bye." plötzlich und schnell verabschiedet werden. Denn selten haben wir das Gefühl, dass sich jemand, der sich so von uns derart verabschiedet, tatsächlich 'Vielen Dank' und 'Auf Wiedersehen' meint, wenn er es sagt.

Der Dalai Lama ist zweifelsfrei ansteckend.

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Allucanread - 13. Mär, 16:03
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Allucanread - 30. Jul, 11:57
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wm (Gast) - 30. Jul, 00:58
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Allucanread - 29. Jul, 20:05

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Zuletzt aktualisiert: 15. Mär, 15:28

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