Mittwoch, 29. Juli 2009

Der Virus aus Tibet

Er muss tatsächlich heilig sein. Denn eine Pressekonferenz, die zu früh beginnt, grenzt an ein Wunder. Und doch treten der Dalai Lama und sein Gastgeber Roland Koch 15 Minuten vor dem offiziellen Beginn an die Mikrofone. Die Grußworte und Danksagungen sind dann natürlich die üblichen, die wundersame Atmosphäre macht der Realität Platz. Doch man könnte - wenn man wollte - vermuten, die Freude im Gesicht des Ministerpräsidenten sei nicht staatsmännisch, sondern echter Ausdruck eines inneren Zustandes. Damit würde Koch dem Wunsch seines langjährigen Freundes nachkommen, der von den Menschen mehr Ehrlichkeit fordert. In allen Punkten. Franzosen täten beispielsweise manchmal so, als könnten sie nur wenig Englisch, obwohl sie ihn sehr wohl verstünden, erzählt der Dalai Lama in einer kurzen Anekdote. Er lacht laut auf. "I believe the Germans are more honest." Und das ist für ihn immerhin eine Grundbedingung des persönlichen Glücks, dass alle erreichen können. "Every human being - including politicians - has by birth, by nature the potential to increase inner peace."

Davon ist Seine Heiligkeit überzeugt, und ich auch, nachdem ich den hessischen Ministerpräsidenten gesehen habe. Mit dem traditionellen tibetischen weißen Glücksschal über seinem Anzug steht er vor den Kameras, während der Dalai Lama spricht, hat die Hände hinter dem Rücken verschränkt, wippt leicht auf den Füßen hin und her und lächelt in die Kameras. Nicht nur zufrieden, sondern tatsächlich friedlich, das Stichwort "Honigkuchenpferd" drängt sich in meinen Verstand - und das, obwohl ihn zu diesem Zeitpunkt kaum jemand beachtet. Ist der Dalai Lama ansteckend? Die Aufmerksamkeit der versammelten Journalisten gehört jedenfalls bereits ganz ihm. Spätestens seit seinem ersten Satz. "I have nothing to say - except to show my face to your cameras." Er lacht und weiß genau, dass wir mehr wollen, und das er mehr sagen wird. Doch jeder Anflug sakraler Ehrfurcht ist damit im Keim erstickt, die Distanz über die Absperrungsbändern hinweg ein wenig überbrückt, der Dalai Lama etwas mehr Mensch und weniger Würdenträger.

Die ersten Fragen darf dann auch die jüngste Kollegin, eine Kinderreporterin von KiKa, stellen - gleich drei. Was der Dalai Lama in seiner Freizeit am liebsten macht? Schlafen. Halt, nein. Meditieren und schlafen. Was er in seiner Kindheit vermisst hat? Nichts. Aber den Unterricht fand er nicht gut. Ob er seine Heimat vermisst? Ja. "We are a homeless person. But we found a very happy home." Immerhin sei er mit 50 Jahren Aufenthalt der am längsten verweilende Gast Indiens. Ein wundervolles Land - nur der Monsun bringe nach seinem Geschmack zu viel Regen.
Dabei ist sein Gesicht ständig in Bewegung. Mal ruhen die dunklen Augenbrauen in einer Linie mit dem schwarzen Brillengestell über seinen Augen. Dann springen sie nach oben, wenn etwas seine Aufmerksamkeit fesselt und er die Augen aufreißt. Im nächsten Moment macht sich ein Lachen auf seinem Gesicht breit. Das Abbild eines Menschen, der glücklich in sich ruht. Als Berufsmisstrauischer vermute ich natürlich zuerst eine perfekte Inszenierung, doch mit jedem Moment beschleicht mich mehr und mehr der Verdacht, das dieser Mann tatsächlich so ist, wie er sich verhält. Wie heißt das Wort noch mal, was wir so selten sinngemäß gebrauchen? Authentisch. Richtig. So hieß das.

Die Themen der älteren Kollegen sind vorhersehbar und für den Dalai Lama nichts Neues: China, Tibet, wie geht es weiter mit Tibet und China und wie kann man Mitgefühl für den Gegner (China) aufbringen? Konkret werden die Antworten nie. Seine Heiligkeit stellt keine programmatischen Forderungen, sondern verweist auf die Grundlagen, die zum Ergebnis führen. Wie etwa den gesunden Menschenverstand. "It is much wiser to give compassion and therefore keep ones inner peace." Logisches Denken als Bausteine des Glücks. Wie man als spiritueller Mensch in der modernen Welt richtig lebt? "I don't know." Eine Anleitung zum Abarbeiten darf man vom Dalai Lama nicht erwarten. Ein Beispiel, wie der Einzelne zu seinen richtigen Antworten finden kann, gibt er seit Jahren. Wie schade, dass das nicht ins Frageschema westlicher Journalisten passt. Doch die kommen trotzdem, schreiben alles mit und sind nicht böse, wenn sie nach der letzten von wenigen Fragen mit einem fröhlichen "Thank you. Good bye." plötzlich und schnell verabschiedet werden. Denn selten haben wir das Gefühl, dass sich jemand, der sich so von uns derart verabschiedet, tatsächlich 'Vielen Dank' und 'Auf Wiedersehen' meint, wenn er es sagt.

Der Dalai Lama ist zweifelsfrei ansteckend.

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Allucanread - 30. Jul, 11:57
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wm (Gast) - 30. Jul, 00:58
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Allucanread - 29. Jul, 20:05

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Zuletzt aktualisiert: 15. Mär, 15:28

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